Allein sein ist keine Einladung

Vor ein paar Monaten bin ich in ein WG-Zimmer im Erdgeschoss gezogen. Seitdem lebe ich mit Leuten, die einen flüchtigen Blick hinwerfen oder über mich lachen, wenn ich am Laptop arbeite (dieser Witz muss mich allerdings noch einholen). Ich habe eine alte Oma zusammen gestaucht, die an meinem Fenster unbedingt eine Pause machen musste und unbedingt mit den Händen ums Gesicht in mein Zimmer gucken musste. Als ich ihr nachrief, wie scheiße ich das fände, erklärte sie mir, dass ich mich nicht so haben müsse, so hübsch sei ich nicht. Na gut, danke. Diese alte Frau werde ich nicht richten, aber sie wird es auch nicht mehr wagen mich noch mal beobachten zu wollen.
Mit all dem konnte ich leben. Vielleicht, weil ich Mitleid mit dem Alter habe, vielleicht, weil ich um meine eigene Neugierde weiß und wie meine Augen zur Seite schweifen, wenn ich an einem interessanten Fenster vorbei komme.
Was keinen Spaß mehr machte war jedoch der Mann, der eben an mein Fenster klopft, während ich in Unterhose und Tshirt in meiner Kommode kramte. Seit einer Woche ist mein Rollladen kaputt und bleibt damit in der Position stecken, in der er zuletzt war – ca 30 cm davon entfernt komplett geschlossen zu sein. Damit bin ich nicht voyeuristisch veranlagt, sondern einfach zu faul jedes mal ein Laken oben in die Fassung zu klemmen, wenn ich beschließe für fünf Minuten meine Beine zu zeigen. Es bedeutet aber auch, dass jeder Mensch durchschnittlicher Größe sich bücken muss, um in mich zu bespannern.
Dieser Mann schien jedoch vollkommen bereit sich die Mühe zu machen. Er schien sich auch nicht zu schämen, sonst hätte er auch nicht geklopft. Im Gegenteil. Er beutete mir, das Fenster zu öffnen, machte erst mit deiner Hand einen plappernden Mund und dann anzügliche Gesten. Ein komplett fremder Mann, den ich nicht kannte, nie gesehen hatte, fand es legitim mich durchs Fenster hinweg in meinen eigenen vier Wänden zu begaffen und zu belästigen- als gäbe es keine Pornos im Internet; als hätte ich mich halb ausgezogen, um ihm zu gefallen – das ist ein absolut verstörendes Gefühl, das einen so beschämt zurücklässt, dass man lieber schnell aus dem Zimmer geht als zu konfrontieren.
Es lässt mich an all die Male denken, die es zu abwegigen Zeiten an meinem Fenster klopfte und ich einfach tiefer ins Bett rutschte, um nicht interagieren zu müssen. Den Kopf unter die Decke, um Privatsphäre zu erhalten und nicht mitzukriegen, wer mich da belästigt.
Dieses Verhalten steht im krassen Gegensatz dazu, wie ich mich fühle, wenn ich nicht alleine in meinem Zimmer bin. Denn sein wir ehrlich – ich hatte schon am helllichten Tag Sex in diesem Zimmer, mit den besprochenen 30 cm Spielraum beim Rolladen. Wie gesagt auf einer Höhe, die dafür prädestiniert ist, dass mein Vanillasexleben 10jährige verschreckt. Aber zum einem passiert es nie, weil sich wenig Leute den Kick geben müssen gebückt in jedes Fenster zu schauen. Zum anderen fühlt es sich sicherer an, wenn mein Freund dabei ist. Ich denke, dass niemand (außer den besprochenen 10jährigen vielleicht) es wagen würde dann zu klopfen und ernsthaft anzügliche Gesten zu machen.
Es scheint einen grundsätzlichen Unterschied an diesen Situationen zu geben: dem einfachen Umziehen und dem durch-gerammelt-werden – und ich meine keinen qualitativen. Nein, dieser Unterschied besteht darin, dass ich in der einen Situation als Frau alleine war.
Auf einmal befinden wir uns wieder auf der Ebene, wo man weiß, dass man den nervigen flirtenden Kerl besser erzählt, man sei vergeben, weil es die einfachste Methode ist ein “nein” wirkungsvoll zu machen. Die Zugänglichkeit meines Körpers ist davon abhängig, ob ein Mann bereits einen “Besitzanspruch” oder zumindest einen “Benutzungsanspruch” darauf hat. Das ist grundsätzlich verkehrt. Grundsätzlich verkehrt ist auch, dass ich diesen Blogartikel im Dunkeln tippe, weil ich mich direkt nach der Erfahrung nicht traue das Licht anzumachen. Er könnte ja zurück kommen.
Ich erwäge einen Schriftzug an meine Scheibe zu kleben:
“Its not performance art, its my life”
Es klingt aber eher so, als würde es dann demnächst mit meiner Adresse auf einem Streetart-Tumbler oder Krautchan landen.
Also doch die Milchglasfolie, die meine Mutter mir vorgeschlagen hatte, ich aber so rigoros ablehnte, weil ich die Möglichkeit rauszugucken nicht verlieren wollte.
Die Menschen, die spannern kann ich nicht so einfach verändern.
Also ergibt sich jetzt eine schöne Metapher, die man gerne weiter sehen kann: um nicht belästigt zu werden, opfere ich meine gute Aussicht(en).